Das Assoziierungsabkommen zwischen Brüssel und Kiew fordert Russland heraus. Zudem soll der Spagat zwischen Sanktionen und Dialog Moskau besänftigen: Ihor Dolhov, ukrainischer Botschafter für Belgien und Luxemburg, will nicht auf den Handel mit Russland verzichten.
Tageblatt: Momentan sieht es danach aus, dass die EU ihre Sanktionen gegen Russland verschärft.
Ihor Dolhov: „Wenn die EU Russland zunehmend mehr Sanktionen in Handelsfragen auferlegt, folgen wir diesem Kurs. Dennoch: Russland hat einen guten Markt. Wir wenden uns auch nicht von anderen ehemaligen sowjetischen Staaten ab. Kasachstan ist beispielsweise ein sehr wichtiger Handelspartner für uns. Usbekistan ist dabei zu wachsen. Kirgistan baut aktiv Beziehungen mit China auf. Das gibt uns zusätzliche Möglichkeiten. Die Märkte sind global. Wir leben in einer globalisierten Welt.“
Der Auslöser der Krise
Die aktuelle Krise wurde zum Teil dadurch ausgelöst, dass Russland sich nicht durch das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine ins Abseits drängen lassen wollte. Falls das Abkommen aber Ende 2015 in Kraft treten sollte, kommt es doch wieder zur gleichen Situation wie zu Beginn des Konflikts.
I. H.: „Ich stimme Ihnen zu. Aber was war davor? Wieso wollte Russland involviert sein? Die Ursachen sind bekannt: Russland fürchtet sich vor möglichen Schäden seiner Märkte. So wollten sie zu Beginn realitätsfremde Elemente diskutieren, die gar nicht erst passieren würden. Und dennoch waren sie besorgt. Wieso? Es handelt sich dabei um eine prinzipielle Ausrichtung der russischen Außenpolitik: Sie wollen nicht, dass die Ukraine sich in Europa integriert. Sie wollen die Ukraine nicht mal in einem Alptraum als Nato-Mitglied sehen. Das erklärt das gesamte Benehmen der Russischen Föderation.“
"Das Volk entscheidet"
Sie geben gerade die Antwort, wieso der aktuelle Kurs der ukrainischen Regierung samt der Annäherung an die EU und an die NATO zum nächsten Desaster führen wird. Niemand entschuldigt die russischen Rechtsbrüche, aber wenn Sie die russische Mentalität bestens verstehen, wieso lassen Sie es geradezu auf den nächsten Konflikt ankommen?
I.H.: „Seien wir an dieser Stelle sehr klar: Es ist jedem einzelnen Staat und Volk überlassen sich dafür zu entscheiden, wie sie ihre nationalen Interessen verteidigen wollen. Die Antwort darauf liegt nicht in Moskau, sondern in Kiew. Und wenn die Ukrainer in der NATO sein wollen, dann werden sie es sein.“
Dennoch: Russland betrachtet Ihren Staat als festen Bestandteil seiner Einflusssphäre. Das mag an sowjetisches Denken erinnern, aber realpolitisch und geostrategisch betrachtet, ist das die russische Handlungslogik. Wieso lassen Sie es darauf ankommen?
I.H.: „Das ist die russische Sicht der Dinge. In der Tat. Aber das bedeutet doch nicht, dass diese Sichtweise akzeptabel ist. Die Ukraine, die EU, die USA und die NATO müssen Russland erklären, dass es die alten Zeiten vergessen sollte. Die globale Sicherheitsstruktur ist gerade in einer Post-Kalter-Krieg-Phase angekommen: Alle Regeln wurden wegen irrationalen Taten und Aggressionen von Russland gebrochen. Wir haben also keine verlässlichen und funktionsfähigen Sicherheitsstrukturen mehr. Deswegen respektieren wir die NATO: Ihr geht es um die Verteidigung von Bündnispartnern. Wir haben seit dem letzten Gipfel mehr Kooperationspotenzial, aber die NATO kann dennoch das ukrainische Territorium nicht verteidigen. Die Ukrainer müssen für ihre Unabhängigkeit und nationale Sicherheit kämpfen, um ihre Grenzen zu verteidigen.“
Die Frage der Neutralität
Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Wieso nimmt Ihr Land nicht zumindest eine neutrale Rolle ein, ohne sich der NATO oder Russland anzubiedern? Sie befinden sich im Würgegriff zweier globaler Player, die Sie als Pufferstaat für Ihren Konkurrenzkampf ausnutzen. Wieso lassen Sie sich in diesem Wirtschaftskrieg für solche Machtspiele instrumentalisieren?
I.H.: „Es gibt eine sehr eindeutige Antwort darauf: Als die Ukraine sich 1994 gegen seine nukleare Macht und Waffen entschied, erhielten wir die Garantie, dass unsere territoriale Integrität, unsere Sicherheit und die Unantastbarkeit unserer Grenzen respektiert würden. Dieses Dokument ist als Budapester Memorandum bekannt. Es wurde unter anderem von den USA, Großbritannien, der Russischen Föderation und der Ukraine unterschrieben. Frankreich und China haben sich später angeschlossen. Aber was ist jetzt das Resultat? Hat dieses Dokument uns vor externen Aggressionen geschützt? Nein.“
Das gesamte Gespräch mit dem Botschafter lesen Sie in der Samstagausgabe des Tageblatt.
(Dhiraj Sabharwal/Tageblatt.lu)